XV Edition GIZ Law Journal

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was unter „begrenzter Staatlichkeit“ verstanden werden könnte. Davon kann gesprochenwerden, wenn in einem Territorium die Institutionen Recht und Gesetz nicht durchsetzen können oder nicht durchsetzen wollen (!) und damit letztlich nicht über die Zwangs- und Gewaltmittel verfügen oder diese nicht einsetzenwollen, um Recht und Gesetz gegebenenfalls zu erzwingen. Die Gründe für staatliche Limitierungen können sich aus politischen Konflikten (z.B. Bürgerkrieg) ergeben, sie können sich aus sozio-ökonomischen Verhältnissen entwickeln (z.B. in den Banlieues in Frankreich), oder können als Ergebnis post-kolonialer Governance Strukturen (Abwesenheit von staatlichen Strukturen in ländlichen Gebieten Afrikas) erklärt werden. In den Räumen bzw. Territorien außerhalb von Staatlichkeit gibt es keine institutionellen Anhaltspunkte zur Rechtsstaatsförderung es sei denn, dass (Rechts-) Staatsstrukturen überhaupt erst aufgebaut werden sollen. Für die TZ sind solche Ziele aber in den seltensten Fällen realistisch. Denn von State-Building darf realistischerweise allenfalls im Schatten von Drohszenarien geträumt werden, die wie in Afghanistan von internationalen Eingreiftruppen ausgehen und glaubwürdig Rechtsdurchsetzungsfähigkeit und –willen repräsentierenunddamitdieBegrenzungderStaatlichkeit im beschatteten Territorium aufheben. Auch in diesen angespannten Lagen ist Rechtsstaatsförderung eine mögliche Option und die GIZ ist wie z.B. in Afghanistan in der Rechtsstaatsförderung in einem Vorhaben aktiv. Dabei begleiten positive und negative Erfahrungen die GIZ bei der Implementierung des Vorhabens. Die entscheidende Frage ist allerdings, was tun in (sozialen, politischen, territorialen) Gebieten, in denen Staatlichkeit nicht oder nichtmehr vorhanden ist undder Schatten des staatlichen Gewaltmonopols nicht mehr hinreicht? Die SDGs geben hier eine mögliche Antwort: AtoJ für Alle fördern. Dabei ist das bisher praktizierte KonzeptderRechtstaatsförderungmitdenverschiedenen Rechts- und Justizebenen nicht anwendbar. Es fehlen die typischen institutionellen Anknüpfungspunkte. Irrelevant sind Gerichte, oder staatlich-administrativen Strukturen. Stattdessen bestehen andere Strukturen und Institutionen, die staatsfern entstanden sind.

Diese haben sich entweder aus Traditionen oder religiösen Überzeugungen herausgebildet. Trotzdem (oder deswegen) sind sie leistungsfähig genug um den Bedarf an Konfliktlösung und Streitbeilegung in der örtlichen Gemeinschaft, zwischen Nachbarn oder innerhalb einer Familie abzudecken. Aber auch in diesen Strukturen gewinnen die einflussreichsten und mächtigsten Interessen. In diesen institutionellen staatsfernen Streitschlichtungsinstitutionen spielen die Menschenrechte keine Rolle. Zwar stehen die Streitschlichtungsinstitutionen nicht für einen gerechten Interessenausgleich, doch sie sind alternativlos und sichern den Frieden, Vor allem die Armen bleiben auch in diesen Systemen entmachtet (disempowered). Bei der Überlegung von Förderungsstrategien (zum Empowerment) in Gebieten mit Staatsabwesenheit werden andere Dimensionen wichtig, die in der Rechtsstaatsförderung in staatlichen Räumen unbekannt sind. Das Thema „Rechtspluralismus“ ist eine solche Dimension. Auch die Akteurslandschaft muss komplett neu überdacht werden. Chiefs, Mullahs, Dorfräte, NGOs prägen in Gebieten ohne Staatlichkeit das Kooperationssystem, nicht mehr Justizministerium, Judicial Council, Richterakademien oder Anwaltskammern. Die SDG tragen dazu bei, sich über die Unterschiede klar zu werden und nicht mehr weiter mit der Brille von Rechtsstaatsförderung über mögliche Interventionsstrategien zu schauen. SDG 16 provoziert, denn Rechtsstaatsförderung ist nur noch ein Unterziel (16.3). Die Förderung von AtoJ für Alle wird als Oberziel ins Licht der Aufmerksamkeit gestellt, und eigentlich zu Recht. Denn wenn es mit dem Prinzip „Leave no one Behind“ ernst ist, springt die oben erläuterte GIZ Konzeption der Rechtsstaatsförderung in staatsfreien Gebieten zu kurz. Mit dieser Konzeption verlieren wir alle Zielgruppen, die nicht in staatlichen Räumen leben, sondern abseits davon ihr Leben organisieren müssen. Das ist in Afrika wahrscheinlich die Mehrheit der Menschen. SDG 16 fordert also die Entwicklung einer Förderungsstrategie für staatsfreie Gebiete, die nicht

auf der Konzeption von Rechtsstaatsförderung beruht, sondernganz andereWege findenmuss, soll AtoJ inden staatsfreien Gebieten und Territorien gefördert werden. Wie in Staaten die Verfassungen orientierungsgebend sind, so sind das in den Territorien begrenzter Staatlichkeit die Menschenrechte. Conclusions I (applies to territories with statehood): • In States with a monopoly of power, territory, and citizens, the promotion of Rechtsstaatlichkeit is an adequate strategy at the levels of the formal legal and judicial system (legislation, law-application, law enforcement, popularization of the law and the judiciary). • The definition of Rechtsstaatlichkeit becomes apparent fromthetextof theConstitutionof thepartner country concerned. Therefore, the partner country’s Constitution isguiding thedesignand implementation of projects promoting Rechtsstaatlichkeit. • Projects promoting Rechtsstaatlichkeit should shift their focus in terms of design, implementation and

M&E from the intervention levels of legal institutions to the direct interfaces of citizens and the formal legal system (i.e. courts of first instances, lawyers, enforcement of civil judgements, popularisation of the judiciary, prison). Outcome indicators and the project budget should reflect the changed focus. Conclusions II (applies to statehood free areas): • From the perspective of SDG 16, in areas of absent statehood there is only one priority field of intervention: this is thepromotionof Access toJustice (definition see above). Here, the target groups must be the socially, politically, economically or culturally marginalized parts of the population. • In areas of absent statehood, the Human Rights (UN charta), including procedural rights, must guide design and implementation of projects promoting AtoJ and Legal Empowerment. • Partners in these areas are non-State actors. Customary institutions / State interface handling Justice also state actors of Justice.

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