XV Edition GIZ Law Journal

ORGANIZATION OF THE AMERICAN STATES

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Zutreffend stellt daher der BMZ-Leitfaden zur Berücksichtigung von menschenrechtlichen Standards und Prinzipien, einschl. Gender, bei der Erstellung von Programmvorschlägen der deutschen staatlichen Technischen und Finanziellen Zusammenarbeit vom 6.2.2013 zum Arbeitsfeld Justizreform fest, dass die Benachteiligung einzelner Personengruppen beim Zugang zu Justiz und rechtlicher Beratung, z.B. durch sprachliche, geographische, kulturelle, alters- und geschlechtsspezifische oder finanzielle Hürden ein potenzielles menschenrechtliches Risiko bei der Durchführung von EZ-Maßnahmen darstellt. 64 Das BMZ-Strategiepapier „Menschenrechte in der Entwicklungspolitik“ bezeichnet die Förderung des ZugangszuRecht füralleBevölkerungsgruppenalsein wesentliches Element der Rechtsstaatsförderung. 65 B. Bestandsaufnahme (Worin besteht das Problem im Einzelnen?) a. Allgemeine Zugangshindernisse Auf dem Weg zu einer richterlichen Entscheidung sehen sich viele Menschen unüberwindbaren Hindernissen gegenübergestellt. Es gibt normative, politische, institutionelle, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Zugangshindernisse. 66 Während hohe Verfahrens-, Zustellungs- und Anwaltskosten die ärmere Bevölkerung insgesamt hart treffen und am Zugang zum Recht hindern, sorgen intransparente Verfahren, Korruption und Vetternwirtschaft dafür, dass sich der Zugang noch weiter verteuert und erschwert. Die oftmals prekäre Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden führt dazu, dass im Falle von Straftaten keine ordnungsgemäße Beweissicherung erfolgt, wenn diese nicht vom Opfer selbst finanziert wird. In städtischen Gebieten, die von der ärmeren Bevölkerung bewohnt werden, gibt es oftmals weder eine funktionierende

Polizeistation noch andere geeignete Anlaufstellen, um staatlichen Schutz gegen Kriminalität zu suchen. Für arme ländliche Gebiete gilt das in besonderem Maße, da die Menschen dort nur zu oft sehr lange Wegstrecken zu Fuß zurücklegen und ihre Familie zurücklassen müssen, um justiziellen Schutz und Beistand aufsuchen zu können. Hinzu kommt, dass die Landbevölkerung in weiten Teilen Lateinamerikas indigen ist, oftmals die offizielle Landessprache nur bruchstückhaft beherrscht, und ihre Anliegen gegenüber Amtsträgern nicht ausreichend zum Ausdruck bringen kann. Indigene haben es im formellen Justizsystem besonders auch deswegen schwer, weil in ihrer Kultur Kollektivrechte und nicht Individualrechte das Rechtsverständnis prägen. Dem auf der Logik von Individualrechten aufbauenden formellen Justizsystem sind Kollektivrechte hingegen weitgehend fremd. Indigene Frauen aus ländlichen Gebieten begegnen gleich mehreren Hindernissen gleichzeitig: nicht nur, dass sie noch seltener die offizielle Landessprache sprechen. Die von ihnen getragene Verantwortung für die Kinder und die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Mann hindern sie daran, ihren Haushalt zu verlassen und die Justiz aufzusuchen. In vielen Kulturen wird das soziale Ansehen der Frauen beschädigt, wenn sie eigenmächtig ihren Wohnort verlassen. Strafverfolgungsbehörden verfügen nur in seltenen Fällen über die nötige Sensibilität für den Umgang mit Frauen, die beispielsweise Opfer familiärer Gewalt geworden sind. Das liegt auch daran, dass sowohl bei der Polizei, Staatsanwaltschaft und in den Gerichten vorwiegend Männer tätig sind. Migranten sind oft illegal in einem Staat und schon deswegen weitgehend schutzlos und benachteiligt. Der Gang zu formellen Gerichten ist für sie mit einem großen Risiko verbunden. Migranten wird vielfach die Kontaktaufnahme zu ihrem Konsulat verwehrt, wodurch selbst ein minimaler Schutz durch diesen ausgehebelt wird.

Wurden anfänglich noch einige nationale Richter, auch in demokratisch geführten Staaten, disziplinarisch belangt, wenn sie eine Konventionalitätskontrolle durchführten, so ist diese heute, abgesehen von autoritär geführten Staaten, allgemein akzeptiert. Um deren Anwendung zu vereinfachen, hat das Vorhaben DIRAJus die juristische Methode THEMIS entwickelt, die zudem die juristische Argumentation nachvollziehbarer macht. Um nach der Pandemie die gesellschaftliche Resilienz im Sinne eines demokratischen und auf den Menschenrechten basierenden „Wiederaufbaus“ zu stärken, ist es dringend geboten, die Durchsetzbarkeit der wsk Rechte auf nationaler und internationaler Ebene weiter zu verbessern.

Inti Schubert

A. Problematik (Wo stehen wir?) Der Zugang zu Justiz ist ein zentrales Recht eines jeden Menschen und ein Schlüsselfaktor für politische Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Verschiedene internationale Menschenrechtsabkommen haben diesbezügliche Rechte normiert. 62 In Lateinamerika haben nach dem Ende der Militärdiktaturen in den 1990er Jahren Justizreformen stattgefunden, die von verschiedenen internationalen Gebern, darunter auch der deutschen EZ, unterstützt worden sind. Die Reformen betrafen schwerpunktmäßig das Strafprozessrecht. Der Strafprozess ist dadurch transparenter geworden. Der von diesen Reformen erhoffte Impuls für eine weitere Stärkung und erhöhte Achtung der Menschenrechte blieb weitgehend aus. Insbesondere gelang es nicht die ausufernde Anordnung der Untersuchungshaft einzudämmen. Zur Überwindung des Ausschlusses breiter Bevölkerungsgruppen von politischer, wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe trugen die Reformen nicht bei. Die gesellschaftliche Exklusion vieler Menschen stellt bis heute ein schwerwiegendes Problem in der gesamten Region dar.

Den Staaten fehlen oftmals die Fähigkeiten oder auch der Wille, zur Geltung der Menschenrechte und Überwindung der Exklusion beizutragen. Dies betrifft in hohem Maße den Justizsektor. Die Unzulänglichkeiten der Justizsysteme treffen und benachteiligen insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen (Arme, Indigene,Kinder,Frauen,Migranten,Gefängnisinsassen, etc.). Da jedoch die Entwicklung des nationalen Rechts nicht mit demwirtschaftlichenWachstum in der Region und den Herausforderungen der Globalisierung Schritt gehalten hat, ist auch die Mittelschicht betroffen. Das aktuelle Zivil-, Wirtschafts- und Prozessrecht bietet keine passenden Antworten für die Probleme der Menschen, seien sie z.B. Mieter, Schuldner oder Konsumenten. Hinzu kommt eine zu stark sich an Formalismen orientierende richterliche Rechtsanwendung, die nicht in der Lage ist, den materiellen Gehalt internationaler Rechtsinstrumente in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen und keine Konventionalitätskontrolle durchführt. 63 Folge ist, dass die justizielle Realität stark vom geschriebenen Recht (Verfassung, internationale Abkommen, Gesetze und andere Normen) abweicht. Formelle Inhaber von Rechtenwerden inder Praxis nicht als solche behandelt.

64 Leitfaden zur Berücksichtigung von menschenrechtlichen Standards und Prinzipien, einschl. Gender, bei der Erstellung von Programmvorschlägen der deutschen staatlichen Technischen und Finanziellen Zusammenarbeit, Anhang S. II 65 BMZ Strategiepapier 04/2011, S. 17 66 Hierzu erstmalig Cappelletti, Access to Justice and the Welfare State, Brüssel, 1981, S. 1 ff.

62 Art. 8 und 25 Amerikanische Menschenrechtskonvention; Art. 14 UN-Zivilpakt; Art. 7-11 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte; siehe auch Art. 6 EMRK 63 Die Verpflichtung hierzu besteht auf Grundlage der Rechtsprechung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (IAMRGh) aus dem Urteil Almonacid Arellano vs. Chile vom 26.9.2006 und auf diesem fußenden weiteren Urteile.

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