XV Edition GIZ Law Journal
ORGANIZATION OF THE AMERICAN STATES
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Kinder aus benachteiligten Familien oder Elternlose sind vielfach physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt. Dies macht auch vor staatlichen Institutionen nicht Halt. Neben den fehlenden wirtschaftlichen Mitteln ist dies ein weiterer Grund für ihren faktischen Ausschluss vom Zugang zu Justiz. Ähnliches gilt für Gefängnisinsassen – unabhängig davon, ob sie bereits verurteilt sind oder nicht. Die MissachtungderRechtevonUntersuchungshäftlingen gehört zu den größten weiterbestehenden Problemen im Strafprozess. Gegen eine überlange Haftdauer können sie sich kaum effektiv zur Wehr setzen. Hinzu kommen Menschenrechtsverletzungen aufgrund der chronischen Überbelegung der meisten Vollzugsanstalten. b. Durchsetzungshindernisse Neben Hindernissen beim Zugang zu Justiz gibt es auch erhebliche Probleme bei der Durchsetzung von Urteilen. Im Zusammenhang mit der Urteilsvollstreckung wiederholen sich die schon beim Zugang zur Justiz allgemein bestehenden Problemlagen, wobei hier besonders die zusätzlichen formalen Kosten für das Vollstreckungsverfahren und erforderliche Bestechungsgelder gravierende Hindernisse darstellen. Beim formal existierenden Vollstreckungsschutz gibt es ebenfalls die vorgenannten Probleme. ImErgebnis funktioniert das Vollstreckungssystem weitgehend für wirtschaftlich starke Personen oder Institutionen, wie z.B. Banken. c. Versagen der Justiz Mindestens so schwer wie die Zugangshindernisse wiegt die Unzulänglichkeit des Justizsystems, für die Probleme der Menschen die richtigen Antworten zu finden. Denn die Urteile lösen viele Probleme nicht, sondern tendieren dazu, bestehende Benachteiligungssituationen zu verfestigen. „Recht“ bekommt in der Regel der wirtschaftlich, sozial oder politisch Starke. Die Justiz kann so nicht als effizientes Mittel zur Durchsetzung der formal existierenden
Rechte wahrgenommen werden und versagt bei der Erfüllung ihrer ursprünglichen Hauptfunktionen: die Befriedung der Gesellschaft und die Durchsetzung des Rechts. Die Gründe, auf die sich ein Urteil stützt, sind meist nicht klar erkennbar. Eine juristische Aufbereitung des einem Fall zu Grunde liegenden Sachverhalts gibt es selten. Der Sachverhalt wird regelmäßig nicht auf seine juristische Relevanz für die Klärung der jeweils einschlägigen Rechtsfrage geprüft, sondern bestenfalls chronologisch wiedergegeben. Urteile enthalten Erwägungen und Schlussfolgerungen. Der logische Weg zu einer Schlussfolgerung kann bei einem guten Richter schlüssig sein, bei einem weniger guten Richter nicht. Da die einzelnen Schritte hin zur Schlussfolgerung aber nicht ausdrücklich offenbart, sondern impliziert werden, kann nur schwer zwischen einer rechtlich korrekten und einer willkürlichen Entscheidung unterschieden werden. Dies hemmt die Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit richterlicher Entscheidungen. Ein rechtswissenschaftlicher Fachdialog und Kriterienaustausch ist nicht möglich. Die Entwicklung des Rechts stagniert. C. Thesen (Woran liegt das? Wozu führt das?) Die Unzulänglichkeiten der Justiz folgen im Wesentlichen aus der mangelnden Bedeutung der Grund- und Menschenrechte bei der Rechtsanwendung, nicht ausreichenden Kenntnissen und Fähigkeiten bei der Anwendung juristischer Auslegungsmethoden und dem fehlenden politischen Willen, daran etwas zu ändern. a. Fragmentierung - Recht, Rechte und Rechtsprechung sind fragmentiert These 1: Ein wesentlicher Grund besteht in der Fragmentierung des Rechts 67 , der Rechte und der Justiz. Die für den Zugang zum Recht relevanten Bestimmungen finden sich in verschiedenen Konventionen, die unterschiedliche Zielgruppen
Auch die Rechtsprechung ist fragmentiert. Denn die Gerichte beurteilen die formell existierenden Rechte stets im Lichte nur einer rechtlichen Grundlage. Nationale Gerichte beurteilen einen Fall auf Grundlage der eigenen Verfassung und Gesetze. Der IAMRGh hingegen hat die Amerikanische Menschenrechtskonvention im Blick. Die Bedeutung der Wiener Vertragsrechtskonvention für die Auslegung des internationalen Rechts wird weder auf nationaler noch auf regionaler Ebene ausreichend thematisiert. Hinzu kommt, dass es meist keine ständige Rechtsprechung gibt, die Rückschlüsse auf eine institutionell gefestigte Beurteilung einer Rechtsfrage erlauben würde. Das liegt einerseits an einer nicht ausreichenden Beherrschung von Auslegungsregeln. Zum anderen liegt es daran, dass das Richterkollektiv eines Gerichts keine gemeinsamen Rechtsprechungslinien entwickelt und die einzelnen Richter allein hinter ihrer Entscheidung stehen. Dies macht das Justizhandeln unvorhersehbar, schwer nachvollziehbar und fragmentiert es. b. Inkohärente Rechtsanwendung These 2: In der Region fehlen an Menschenrechten orientierte Auslegungsstandards Die Gerichte sind nicht ausreichend in der Lage, Normen- und Wertungskollisionen zwischen nationalem Recht und internationalen Verträgen zufriedenstellend zu lösen und damit den internationalen Verpflichtungen auf der nationalen Ebene tatsächliche Geltung zu verschaffen. Insbesondere werden die erforderlichen Auslegungstechniken nicht beherrscht, bzw. nicht angewandt, die eine menschenrechtskonforme
haben. Hier einige wichtige Beispiele: i. Mit Bezug auf den Zugang zu Recht existieren verschiedene internationale Abkommen, die für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen Regelungen beinhalten. Auf regionaler Ebene etabliert die Amerikanische Menschenrechtskonvention für alle Menschen bestimmte Verfahrensgarantien und einen effektiven Rechtschutz. ii. Die UN-Kinderrechtskonvention 68 sieht einige zusätzliche Rechte und Bestimmungen vor iii. Die ILO-Konvention 169 69 enthält Bestimmungen, die indigenen Gemeinschaften den Zugang zu ihren eigenen Justizsystemen garantieren. iv. Die Interamerikanische Konvention zur Verhütung, Bestrafung und Beseitigung von Diskriminierung von Frauen sieht ebenfalls besondere Regelungen beim Zugang zu Recht für Frauen vor, die im wesentlichen die Gleichberechtigung und Gleichstellung vor dem Gesetz bekräftigen 70 v. Auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen setzt den Schwerpunkt bei der Gewährleitung der Gleichheit vor dem Recht und der Beseitigung von Zugangsbarrieren. 71 Art. 13 nimmt ausdrücklich Bezug auf den Zugang zum Recht und verlangt notfalls eine Anpassung der Verfahren, um behinderten Menschen tatsächlich den Zugang zum Recht zu ermöglichen. Die Existenz verschiedener einschlägiger internationaler Rechtsinstrumente erschwert es dem einzelnen Richter, eine kohärente Anwendung des Rechts vorzunehmen.
68 Art. 7 der Konvention legt das Recht des Kindes auf eine Identität fest und das Recht, zu erfahren wer dessen Eltern sind. Die Staaten sind aufgefordert, diesem Recht Geltung zu verschaffen. Art. 37 c) etabliert ein Recht auf rechtlichen Beistand; Art. 40 sieht besondere Bestimmungen und Garantien vor, wenn ein Kind einer Straftat beschuldigt wird. 69 Art.8 und 9 70 Art. 14 und 16 Konvention Belém do Pará 71 insbesondere Art. 12, 13
67 GIZ red-lac, Los desafíos actuales de la juridicidad latinoamericana frente a la globalización del derecho: realidades y tendencias, Santa Marta 2012; GIZ red-lac, Hacia una política pública de derecho en América Latina, Santa Cruz 2011; GTZ, La transformación de la juridicidad en los estados latinoamericanos: Efectos del pluralismo jurídico desde arriba y desde abajo sobre el Estado de Derecho, Lima 2009
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